Es ist passiert. Du hast dich in eine andere Frau verliebt. Aber deine Freundin liebst du doch auch noch. Du willst die eine nicht verlassen, aber bekommst die andere nicht aus dem Kopf. Was für ein Dilemma.
Eine Frage stellt sich jetzt fast automatisch: Kann ich eigentlich mehr als eine Person lieben? Warum kann ich nicht mit beiden Frauen eine Beziehung haben? Für einen polyamoren Mann würden sich diese Fragen gar nicht erst stellen. Der glaubt nämlich, dass man durchaus mehr als nur eine Person lieben kann und tritt so für ein Konzept ein, das sich Polyamorie nennt.
Poly…was? Kennst du nicht? Dann lies weiter und finde die Antwort auf deine Fragen!
Was ist Polyamorie?
Das Wort selbst setzt sich aus poly (griechisch)=mehr und amor (lateinisch)=Liebe zusammen und verrät so übersetzt auch gleich seine Bedeutung. „Polyamorie bedeutet mehrere Menschen zur selben Zeit zu lieben, mit dem Herzen, aber auch sexuell.
Neu daran ist vor allem, dass es offen gelebt wird, mit der Zustimmung oder Billigung aller Beteiligten.“
In dieser Definition finden sich bereits all die Punkte, die Polyamorie ausmachen:
- romantische Liebe muss sich nicht auf eine Person beziehen
- Liebesbeziehungen mit mehreren Personen sind möglich
- alle Beteiligten handeln in Einvernehmlichkeit und wissen, worauf sie sich einlassen
Dieser letzte Punkt ist wohl der wichtigste. Polyamorie hat nichts mit Seitensprüngen oder Affären zu tun.
Primär geht es auch nicht um sexuelle Freiheiten oder darum sich sexuell auszutoben. Es geht wirklich darum Liebesbeziehungen zu führen. Du darfst Polyamorie also nicht mit einer „offenen Beziehung“ verwechseln.
Die beiden Partner, die eine offene Beziehung leben, haben sich gegenseitig die Freiheit gegeben, andere Sexualpartner zu haben.
Während es in dieser Beziehungsform also darum geht, sexuelle Erfahrungen außerhalb der eigentlichen Beziehung zu machen, geht es bei Polyamorie um das Eingehen von langfristigen Bindungen mit mehreren Personen.
Bei Polyamorie geht es mehr um Liebe und als um Triebe.
Hier werden emotionale Lebensbeziehungen eingegangen, mit allem, was dazu gehört.
Man teilt nicht nur das Bett miteinander, sondern auch die Freizeit.
Reisen und Familientreffen gehören ebenso dazu wie gemeinsame Spaziergänge oder Theaterbesuche.
Im Zentrum der Mehrfachbeziehungen stehen Verbindlichkeit und Vertrauen.
Deswegen soll in einer polyamoren Beziehung nicht belogen und betrogen werden, sondern jeder weiß vom anderen.
Flotte Dreier oder Partnertausch kannst du von einer polyamoren Beziehung nicht automatisch erwarten.
Nur weil du mit zwei Frauen jeweils eine Partnerschaft führst, heißt das noch lange nicht, dass die beiden ebenfalls Bett und Tisch teilen wollen.
Es gibt jedoch auch sogenannte „Triaden“.
Das sind Beziehungen, in denen sich alle Partner lieben und miteinander schlafen.
Netflix hat aus so einer Liebeskonstellation sogar eine Serie gemacht. You Me Her wurde 2017 zum ersten Mal ausgestrahlt und mittlerweile gibt es schon drei Staffeln über die Dreiecksbeziehung zwischen zwei Frauen und einem Mann.
Heimliche Liebhaber gibt es in polyamoren Beziehungen dagegen nicht. Etwas zu verheimlichen ist tabu.
Stattdessen werden Offenheit und Transparenz groß geschrieben. Denn eine Beziehungsform wie diese erfordert größtmögliche Ehrlichkeit und gegenseitiges Einverständnis.
Vorteile der Polyamorie
Die Vorteile dieser Beziehungsform liegen auf der Hand:
du hast gleichzeitig die Sicherheit, den Komfort und die tiefe Erfüllung, die eine feste Beziehung mit sich bringt, als auch Sex mit verschiedenen Partner.
Da in einer polyamorösen Beziehung keine Besitzansprüche geltend gemacht werden sollen, kannst du mit anderen Frauen schlafen ohne dich schuldig zu fühlen.
Du darfst dich neu verlieben und musst dennoch keine Angst haben, das Gewohnte zu verlieren.
Obwohl in polyamoren Beziehungen die Partner auch noch mit anderen Männern oder Frauen Sex haben, …
…gehört Treue dennoch zu den Idealen der Polyamorie.
Wie lässt sich das denn miteinander vereinbaren?
Das fragst du dich doch bestimmt jetzt auch.
Treue hat für polyamore „Paare“ tatsächlich eine andere Bedeutung und wird eher als Verbindlichkeit und Verlässlichkeit gesehen und vor allem aber mit Ehrlichkeit gleichgesetzt.
Getroffene Absprachen müssen unbedingt, also treu, eingehalten werden. Sexuelle Treue dagegen gibt es nicht.
Polyamore, die sich selbst „Polys“ nennen, betrachten die Liebe nicht als ein limitiertes Gut, das nur für eine einzige Person reicht. Für sie ist die Antwort auf die Frage, ob man mehrere Menschen zugleich lieben kann daher auch ganz eindeutig zu beantworten:
Na klar, das geht.
In der Theorie klingen Mehrfachbeziehungen ja wirklich ganz gut.
In der Praxis aber treten natürlich auch bei dieser Beziehungsform Probleme auf. Dazu aber später mehr.
Ganz viel Liebe für ganz viele Menschen – Polyamorie versus Monogamie
In den Augen unserer Gesellschaft besteht eine romantische Beziehung nur zwischen zwei Personen.
Kommt eine dritte oder gar vierte Person ins Spiel, wird schon von Betrug gesprochen.
Für die meisten ist eine Beziehung zu dritt ein Tabu.
Für Polyamore dagegen etwas ganz Normales.
Was für ein Beziehungstyp bist eigentlich du?
Stell dir diese Grundsatzfrage doch auch mal.
Glaubst du daran, dass es nur die Eine für dich gibt?
Oder fragst du dich, was daran so schlimm sein soll, Liebe und Lust für mehrere Personen zu empfinden?
Polyamorie bricht aus dem traditionelle Beziehungskonzept aus, hinterfragt es und sprengt damit Normen.
Für polyamore Menschen ist die Monogamie nämlich nur ein gesellschaftlich erwarteter Standard, den man von klein auf erlernt hat und der als gegeben hingenommen wird.
Damit werden aber Grenzen gesetzt, die die Polyamorie dann aufbricht und überschreitet.
So betrachtet ist Polyamorie sogar weniger eine Beziehungsform als vielmehr eine weltanschauliche Strömung, eine gesellschaftliche Bewegung mit ihren ganz eigenen Wertvorstellungen.
Polyamore sehen in ihrer Lebens- und Liebensweise einen gesellschaftlichen Wandel, der eine neue Art zu leben und zu lieben hervorbringt.
Rein kulturgeschichtlich betrachtet hatte Polyamorie sogar lange den Vorzug gegenüber Monogamie.
Erst in späterer Zeit wurden Liebesbeziehungen zwischen zwei Partnern als normaler Standard angesehen.
Seit den 1990er Jahren kam Polyamorie wieder vermehrt auf.
Wie viele Menschen in Deutschland heute in Mehrfachbeziehungen leben, ist aber nicht bekannt.
Polyamorie entwickelte sich aus der „freien Liebe“ der 1960er Jahre heraus und hat mir ihrer Grundform noch das Schaffen neuer Beziehungsformen gemein.
Während sich die Bewegung der „freien Liebe“ jedoch hauptsächlich um das Aufbrechen von sexuellen Normen drehte, steht dies bei der modernen Polyamorie nicht mehr im Vordergrund.
Es geht nicht um sexuelle Freiheit, sondern primär um Gefühle.
Ist Polyamorie mit einem monogamen Partner möglich?
Polyamore Menschen betonen, dass sie in ihren Beziehungen keinerlei Besitzansprüche an ihre Partner stellen.
Sie sind der Auffassung, dass kein Mensch einem anderen gehört und akzeptieren daher, dass ihre Partner machen können, was sie wollen.
Wenn du bislang monogame Beziehungen geführt hast, wird es dir sicherlich schwer fallen, eine polyamoröse Verbindung einzugehen.
Viel zu verankert ist die Meinung, dass eine feste Partnerschaft nur zwischen deiner Traumfrau und dir bestehen kann.
Dass sie noch mit einem anderen schläft, mit ihm ihr Leben teilt ohne dass du dabei bist, ist unvorstellbar.
Wenn das auf dich zutrifft, solltest du dich keinesfalls verbiegen und eine polyamore Beziehung eingehen.
Setze lieber klare Grenzen, bevor du an dem Versuch es ihr recht zu machen kaputt gehst.
Es gibt jedoch polyamore Konstellationen, in denen ein Partner sozusagen monogam lebt.
Das heißt, er oder sie hat nur eine Beziehung, der Partner dagegen hat mehrere. Das kann funktionieren solange es einvernehmlich geschieht.
Manchmal ergeben sich auch monogame Beziehungen, obwohl man eigentlich polyamorös ist. Nämlich dann wenn es gerade keinen weiteren Partner gibt.
Letztlich ist es wahrscheinlich eine Frage der Einstellung oder des Charakters eines Menschen.
Manche können den Partner teilen, andere nicht.
Für Polys ist die Liebe ein unerschöpflicher Quell, den sie mit mehreren zusammen genießen wollen.
Wie würdest du dich eigentlich fühlen, wenn dir eine Frau eine polyamoröse Beziehung vorschlägt?
Kommt das für dich in Frage?
Innerhalb polyamoröser Gruppen hat sich übrigens schon eine ganz eigene Sprache gebildet.
Die entstand daraus, dass man nach Begriffen suchte, die sich nicht auf monogame Beziehungen beschränken oder für die es in traditionellen monogamen Beziehungen keinen Ausdruck gibt.
Das Gefühl, sich mit dem Partner zu freuen, wenn man ihn oder sie in der Gegenwart eines anderen Partners glücklich wähnt, wird zum Beispiel „frubbelig“ genannt. Diese Gefühl des Mitfreuens ist ein Grundgedanke der Polyamorie.
Nur Liebe wird mehr, wenn man sie teilt.
Polyamorie und Online Dating
Viele Polys haben Angst, dass sie alleine sind mit ihrem Wunsch nach dieser Form der Beziehung.
Aber auch für Polyamore gibt es natürlich Dating Portale im Netz. Viele „herkömmliche“ Partnerbörsen haben inzwischen Gruppen und Foren für Polys und ermöglichen so Austausch und Treffen unter Gleichgesinnten.
Beim Online Dating Portal OKCupid können mittlerweile auch Paare auf die gemeinsame Suche nach einem weiteren Partner gehen.
Ist Polyamorie erlaubt?
Polyamorie ist nicht das gleiche wie Polygamie.
Polygamie ist der Ausdruck für die Ehe mit mehreren Partner, bei Polyamorie dreht es sich dagegen nur um Liebesbeziehungen ohne Trauschein. Die sogenannte Vielehe ist in Westeuropa verboten.
Polyamore Beziehungen sind aber natürlich erlaubt und nicht gesetzlich geregelt.
Wer mit wem und wie vielen schläft ist glücklicherweise nicht irgendwelchen Gesetzen unterworfen.
Polys sollten jedoch nicht versäumen sich gerade wegen der fehlenden gesetzlichen Regelungen rechtzeitig um solche komplexen Themen zu kümmern, die die Kindererziehung oder auch das Erbrecht betreffen.
Polyamorie ist immer noch bei Vielen verpönt.
Eben weil es ein Konzept ist, dass sich gegen traditionelle gesellschaftliche Normen richtet.
Es kann sein, dass sich alte Freunde oder gar die Familie plötzlich von dir abwenden, weil du diese Liebesmodell gewählt hast. Sie schämen sich für dich, vielleicht weil sie ganz andere Moralvorstellungen haben und davon auch nicht abzubringen sind.
Einige bezeichnen Polyamore auch als grundsätzlich beziehungsunfähig.
Was irgendwie ironisch ist, wenn man bedenkt, dass es doch gerade polyamorös lebende Menschen sind, die mehr als eine Beziehung erfolgreich gestalten können.
Probleme bei Polyamorie
Für die meisten polyamoren Menschen steht am Anfang ihres Beziehungslebens ein bewusstes Infragestellen von Normen rund um Monogamie, Besitzansprüchen und Eifersucht.
Die Frage stellt sich automatisch: kann man seinen Partner wirklich mit einer anderen Person teilen?
Und ist man für seinen Partner überhaupt noch einzigartig, wenn es doch noch andere gibt?
Polyamorie zeichnet sich durch Vertrauen, Verständnis, Kommunikationsfähigkeit und Gesprächsbereitschaft aus.
Aber kann man sich in diesem Geflecht aus verschiedenen Beziehungen zu unterschiedlichen Menschen wirklich sicher fühlen oder hat man doch eher das Gefühl, ständig kurz vor dem Scheitern einer Beziehung zu stehen?
Sicher ist, dass es nicht leicht ist, polyamorös zu leben und zu lieben.
Während einige Polyamore davon ausgehen, dass es Haupt- und Nebenbeziehungen bzw. Außenbeziehungen in ihrem Liebeskonstrukt gibt, verneinen andere dies ganz entschieden.
Sie treten stattdessen dafür ein, dass jede Beziehung gleich ist und niemand wichtiger oder unwichtiger ist.
Alle sind gleich.
Andere Polyamore teilen dagegen in „Primaries“ und „Secondaries“ ein, die eine Beziehung mit dem „Center“ haben.
Um dann in diesem Modell jedem gerecht zu werden, werden in polyamoren Beziehungen oft Regeln aufgestellt: wer ist wann bei wem und wie lange und so weiter.
Viele Polys bezeichnen ihre Beziehungen sogar als Vollzeitjob, in dem es anstrengend wird, allem und allen gerecht zu werden.
Manchmal ist das Gefühl, sich zerreißen zu müssen enorm.
Man muss schließlich an mehreren Fronten Beziehungsarbeit leisten und nicht nur an einer.
Gefühle lassen sich nicht reglementieren und nicht kontrollieren.
Eifersucht und Neid können gerade wenn es um so viel Liebe wie in Mehrfachbeziehungen geht, ebenfalls leicht zum Problem werden.
Deswegen wird Kommunikation bei Polyamoren zum zentralen Element.
Ohne alles zu besprechen und sich abzusprechen geht es nicht. Hier noch viel weniger als in einer monogamen Paarbeziehung.
Polyamorie und Eifersucht
In fast jeder polyamorösen Beziehung wirst du früher oder später mit Eifersucht konfrontiert werden.
Gerade weil mehrere Personen involviert sind, birgt die Polyamorie großes Potential für Eifersucht, Verunsicherung und Verletzungen.
Es ist fast unmöglich, dass sich nicht einer der Partner irgendwann einmal als fünftes Rad am Wagen oder vernachlässigt fühlt. Je mehr Partner involviert sind, desto komplizierter wird es auch oft.
Denn dann wollen umso mehr individuelle Wünsche, Erwartungen und Bedürfnisse gestillt und erfüllt werden.
Auch wenn Besitzansprüche oder Konkurrenzdenken keinen Platz in einer polyamorösen Beziehung eingeräumt werden soll, lässt sich Eifersucht oft trotzdem nicht vermeiden.
Vielleicht hast du dich gerade neu verliebt und verbringst plötzlich mehr Zeit mit der neuen Partnerin, bist jede Nacht bei ihr und verbringst auch noch deine Freizeit mit ihr.
Klar, dass das der anderen Frau nicht immer passen wird. Würde es dir ja vielleicht auch nicht, oder?
Ein Kernpunkt bei dieser Beziehungsart ist daher die Bereitschaft sich mit dem Thema Eifersucht bereits im Vorfeld auseinanderzusetzen und es auch wenn es akut wird, offen anzusprechen. Ihr müsst euch bewusst sein, dass daran die Beziehung auch scheitern kann.
Ist ein Familienleben mit Kindern möglich?
In den meisten Kulturen führt Liebe zu monogamen Beziehungen und schließlich zu Ehe und Kindern.
Auch in polyamoren Beziehungen entstehen aus der Liebe aber natürlich Kinder.
Entweder wachsen sie dann mit beiden Elternteilen auf, die auch zusammenleben oder sie wachsen bei nur einem Elternteil auf und werden von ihrem Vater oder ihrer Mutter nur „besucht“.
Manchmal leben auch drei Partner zusammen und erziehen die Kinder. Leicht ist es natürlich nicht, in Mehrfachbeziehungen auch noch Kinder und Erziehung unter einen Hut zu bringen.
Dass dies unmöglich ist, ist aber nur ein Vorurteil, geprägt von herkömmlichen Rollenbildern und Beziehungsmodellen. Patchworkfamilien sind mittlerweile gang und gäbe.
Polyamorie und du
Nach all diesen Fakten und Gedanken rund um das Thema Polyamorie weißt du nun zumindest, dass es durchaus möglich ist, mehrere Menschen zu lieben und mit ihnen Beziehungen zu haben.
Aber glaubst du auch daran, dass Polyamorie für dich funktionieren kann?
Oder würde dich die Eifersucht vielleicht zerfressen?
Oder wäre es dir zu sehr mit Arbeit verbunden die jeweiligen Beziehungen am Laufen zu halten?
Wenn du dich dafür entscheidest die Polyamorie auszuprobieren, wirst du auf jeden Fall eine Menge über dich selbst lernen und dir wahrscheinlich auch klar werden, was du wirklich von der Liebe und vom Leben erwartest und wünschst.
Sei ehrlich zu dir selbst.
Lies dazu hier weiter:
Andy Friday